Körperwunder Kleinwuchs. Wahrnehmungen, Deutungen und Darstellungen kleinwüchsiger Menschen und die „Zwergenmode“ in der Frühen Neuzeit (1500–1800)

Körperwunder Kleinwuchs. Wahrnehmungen, Deutungen und Darstellungen kleinwüchsiger Menschen und die „Zwergenmode“ in der Frühen Neuzeit (1500–1800)

Organisatoren
Markwart Herzog / Sylvia Heudecker, Schwabenakademie Irsee; Andreas Tacke, Trierer Arbeitsstelle für Künstlersozialgeschichte (TAK); Eva Seemann, Universität Zürich
Förderer
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG); Bezirk Schwaben
Ort
Irsee
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
31.03.2023 - 02.04.2023
Von
Marna Schneider, Humboldt-Universität zu Berlin

Dass das Kleine auf den Menschen eine besondere Faszination ausübt, kann vielleicht als anthropologische Konstante angesehen werden. Jedoch erreichte diese Faszination in der frühneuzeitlichen Gesellschaft einen eigentümlichen und facettenreichen Höhepunkt; sie bezog sich neben Dingen aus Natur und Kunst auch auf Menschen, die durch ihre auffällig kleine Körpergröße hervorstachen. Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert gab es kaum einen Fürstenhof in Europa ohne sogenannte „Hof- oder Kammerzwerge“. Außerhalb des Hofes traten kleinwüchsige Menschen seit dem Mittelalter auf Jahrmärkten auf.

Diesem Thema widmete sich das V. Philipp Hainhofer Kolloquium an der Schwabenakademie Irsee. Den Rahmen für die von Andreas Tacke, Markwart Herzog und Sylvia Heudecker geleitete Tagungsreihe bildete das Langzeitvorhaben der DFG zur Edition der Reiseberichte von Philipp Hainhofer.1 Die vor allem unter kunsthistorischen Gesichtspunkten versammelten Beiträge der Tagung stellten sich gegen eine Vereindeutigung und setzten stattdessen „die Wechselwirkungen zwischen kleinwüchsigen Menschen und ihren vielfältigen Repräsentationen in den Künsten ins Zentrum“.2

Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass Kleinwüchsige am Hof vornehmlich als Körperwunder und zur Belustigung eingesetzt wurden. EVA SEEMANN (Zürich) hat das Thema in ihrer Dissertation eingehend erforscht und war sowohl Vortragende als auch Mitveranstalterin der Tagung.3 Ihr einführender Beitrag stellt eine elementare Umklammerung für die weiteren Vorträge dar und kontextualisierte dieses frühneuzeitliche Phänomen. Seemann gab zunächst einen Überblick über gesellschaftliche Wahrnehmungsweisen von Kleinwüchsigen in der Frühen Neuzeit. Sie betonte, dass die Tagung sich zum Ziel setze, „Fehlannahmen“ aus dem Weg zu räumen. Wer und was als „Zwerg“ galt (hier immer als zeitgenössischer Quellenbegriff gemeint), sei schon unter den Zeitgenossen breit diskutiert worden. Entgegen der früheren Forschungsmeinung, nach der es sich bei „Hofzwergen“ vornehmlich um marginalisierte „Narren“ und Spaßmacher gehandelt habe, betonte sie, dass der frühneuzeitliche Hof kleinwüchsigen Menschen Handlungs- und soziale Aufstiegsspielräume ermöglichen konnte. Als „Hof- oder Kammerzwerge“ gehörten sie in der Regel zum dienenden Hofpersonal. Sie waren keine rechtlosen Personen und erhielten mitunter erstaunliche Besoldungen, konnten heiraten, Dinge besitzen und diese vererben. Wie von anderen Höflingen auch, wurde von ihnen erwartet, dass höfische Umgangsformen und Fertigkeiten bekannt waren oder erlernt wurden.

Für Seemann, aber auch in den Beiträgen der anderen Vortragenden, war die moderne Unterscheidung zwischen „proportioniertem“ (gleichmäßige Körperproportionen) und „disproportioniertem“ (deformierte Körper; in der Regel großer Kopf im Vergleich zu den Gliedmaßen) Kleinwuchs relevant für die Annäherung an zeitgenössische Wahrnehmungs- und Wertungsmodi. Denn „proportioniert“ kleinwüchsige Menschen waren an den Höfen in der Regel die gefragteren „Zwerge“, weil sie der Perfektion im Kleinen – dem Makrokosmos im Mikrokosmus – stärker entsprachen. Seemann arbeitete zentrale Deutungsmuster heraus, mit denen kleinwüchsigen Menschen begegnet wurde. Dabei unterschied sie zwischen naturkundlich-medizinischen, mythologischen (Kleinwüchsige wurden neben „Zwerg“ auch „Pygmäus“ genannt) und christlich-theologischen Traditionen. Die christliche Akzeptanz von Kleinwuchs komme nach Seemann insbesondere in theologischen Texten wie Leichenpredigten für „Hofzwerge“ zum Tragen. Das medizinische Wissen hingegen spiele an den frühneuzeitlichen Höfen eine untergeordnete Rolle.

An die zeitgenössisch weit verbreiteten mythologischen Deutungsmuster schloss insbesondere der Vortrag von CHRISTOPH SCHWEIGER (Klagenfurth) an, der chronikalische Werke aus Kärnten um 1500 untersuchte. Neben ihrer körperlichen Kleinheit wurden „Zwerge“ in den untersuchten Texten vor allem mit einer mysteriösen Herkunft und übernatürlichen Kräften beziehungsweise Zauberkünsten („Bergmännchen“, „Venedigermandel“ etc.) in Beziehung gesetzt. Auch in der Funktion als Sündenbock oder Entführer von Kindern tauchten sie nach Schweiger häufig auf. Damit seien kleinwüchsige Menschen in der vormodernen Wahrnehmungswelt nicht nur ein Objekt der Faszination gewesen, sondern wurden auch zum Symbol für Verachtung, gesellschaftliche Ängste und Unerklärliches. Der Vortrag legte nahe, dass in der vormodernen Lebenswelt keine klaren Trennlilien zwischen kleinwüchsigen Menschen und mythologischen Zwergen auszumachen seien.

Mit den schon von Seemann angesprochenen unterschiedlichen Wahrnehmungen der Körper kleinwüchsiger Menschen befassten sich die Beiträge in unterschiedlicher Intensität. Einige Vortragende beleuchteten dies anhand von Werken aus dem Bereich der Malerei.

SUSAN TIPTON (München) beschrieb – ausgehend von einem Fresko von Cosmas Damian Asam in Ettlingen – die Darstellung von kleinwüchsigen Menschen im (vor allem) 18. Jahrhundert auf verschiedenen Ganzkörperporträts in (meist) Lebensgröße, die aufgrund ihres Detailreichtums vermutlich anhand realer Modelle angefertigt wurden. Die weite Verbreitung der „Hofzwergenmode“ führte nach Tipton dazu, dass die Realität der Zeitgenossen auch in Gemälden, die Szenen anderer Zeiten abbilden, hineingemalt und -interpretiert wurden.

Immer wieder betonten die Vortragenden, dass die Präsenz von „Hofzwergen“ auf vielfältige Weise die Macht und Überlegenheit des Herrschers darstellte. Ganz offensichtlich wurde dies durch den körperlichen Größenunterschied, der auf Bildnissen durch bestimmte Attribute extra markiert wurde. In einigen Fällen wurde aber (zumindest aus der Sicht heutiger Betrachter:innen) nur indirekt und versteckt auf die Kleinwüchsigkeit hingedeutet. Eindrücklich stellte dies für den Hof von Philipp von der Pfalz CATHERINE INGERSOLL (Lexington, VA) vor. Zentrum ihres Beitrags war das älteste bekannte Ganzkörperporträt eines „Hofzwergs“, das aus dem Jahr 1515 stammt und von Hans Wertinger gemalt wurde. Neben dem ironischen Titel „Ritter Christoph“ geben archivalische Quellen sowie Rechnungen und auch ein Gedicht auf der Rückseite des Gemäldes Aufschlüsse über die Wahrnehmung des Abgebildeten. Ingersoll verglich „Ritter Christoph“ mit anderen Arbeiten Wertingers aus dieser Zeit und arbeitete heraus, dass es sich nicht per se um eine abwertende oder lächerliche Darstellung handelt. Sie zeigte, wie komplex die Dekodierung der Bildelemente ist, die Antworten zum Status von Christoph am Hof geben könnten.

Dass Körpergröße gerade im Verhältnis zu den abgebildeten Körperproportionen eine entscheidende Schwierigkeit darstellt, um die abgebildeten Höflinge als Kleinwüchsige zu identifizieren, bestätigte auch JUSTUS LANGE (Kassel). Er befasste sich mit dem „Bildnis eines fürstlichen Knaben“ (um 1548) von Anthonis Mor und zeigte auf, wie schwer die Integration des Gemäldes die jeweiligen Vorannahmen der Wissenschaftler:innen spiegelte. Dabei wies er auf eine größere und allgemeinere Problematik hin: Handelte es sich bei den dargestellten Personen um (fürstliche oder am Hof lebende) Kinder, kleinwüchsige Kinder oder kleinwüchsige Erwachsene? Häufig kamen vermeintlich kleinwüchsige Menschen schon als Kinder an die Fürstenhöfe und konnten ihrem Amt in manchen Fällen schließlich „entwachsen“.4 In Annäherung an diese Frage interpretierte Lange verschiedene Bildelemente (Kleidung, Gesichtsausdruck, Requisiten). Für ihn repräsentiere die Debatte über das Gemälde insgesamt den „fluiden Status des Hofzwergs“.

THOMAS KUSTER (Ambras) kontextualisierte das Doppelporträt „Der Riese Anton Frank (Franck) mit Zwerg Thomele“ (spätes 16. Jahrhundert) aus der Ambraser Kunstkammer, auf dem die kleine Körpergröße des abgebildeten „Hofzwergs“ durch den neben ihm stehenden „Riesen“ offensichtlich ist. Die beiden abgebildeten Personen stellen nach Kuster allerdings eine „historische Bildmontage“ dar, denn sie seien sich nie begegnet. GERD AUMÜLLER (Münchhausen) nahm dieses Gemälde zum Anlass für einen medizinhistorischen Überblick zu Klein- und Großwuchs. Er thematisierte unter anderem die Aufbewahrung sowie den Umgang mit überlieferten Skeletten von Kleinwüchsigen, von denen sich mehrere im Marburger Museum Aatomicum befinden, und diskutierte ihre Aufbewahrung vor dem Hintergrund der Human-Remains-Debatten.

Der Darstellung von „Zwergen“ in der Bildhauerei und Skulpturkunst im frühneuzeitlichen Garten widmeten sich zwei Vorträge. Nach IRIS LAUTERBACH (München) konnte im Garten – der immer auch ein mikrokosmisches Abbild des Herrscherterritoriums darstellten sollte – anhand von Zwergenfiguren in besonderer Weise mit den Größenverhältnissen im Raum und Normabweichungen gespielt werden. Während in seltenen Fällen konkrete „Hofzwerge“ dargestellt wurden (berühmt ist eine Brunnenfigur des „Hofzwergs“ Morgante unter Cosimo I. de Medici), handelte es sich meist um stilisierte Figuren nach druckgraphischen Vorlagen. Häufig kamen die Zwergenskulpturen in Gruppenkonstellationen vor. Lauterbach arbeitete heraus, dass vor allem kleinere Anlagen Zwergenskulpturen verwendeten.

PETER HUSTY (Salzburg) stellte das Salzburg Museum, die Person und Sammlung Günther G. Bauer und den „Zwergengarten von Mirabell“ (spätes 17. Jahrhundert) vor. Die Zwergenfiguren in Salzburg sind unter anderem aufgrund des Engagements von Bauer etwas besser erforscht.5 Husty berichtete von den Bemühungen, den „ältesten Zwergelgarten Europas“ In seiner ursprünglichen Form zu rekonstruieren. Entgegen der heutigen Präsentationsform von 17 Figuren (16 Originale plus ein Abguss eines Originals), bei der Betrachter:innen auf die Figuren herabblicken, standen die ursprünglich 28 Skulpturen auf hohen Sockeln. Sie befanden sich damit mindestens auf Augenhöhe der Betrachter, blickten sogar eher auf diese herab. Die Figuren repräsentierten verschiedene lebensrelevante Bereiche wie Jahreszeiten, soziokulturelle Gruppen wie „die Türken“, stellten Künstler aus der Commedia dell’arte nach und groteske Körper dar. Husty argumentierte, dass die Figuren damit als Antithese zu den Götterfiguren im anderen Teil des Gartens angelegt wurden.

Der Themenkomplex groteske Körper und Zwergendarstellungen wurde im Beitrag von VERENA SUCHY (Nürnberg) zum Hauptaugenmerk. Sie analysierte vor allem Klein- und Juwelierplastiken mit Zwergenmotiv aus höfischen Schatzkammern wie dem Grünen Gewölbe in Dresden und orientierte sich dabei an Michail M. Bachtins Konzept des „grotesken Körpers“.6 Suchy arbeitete heraus, dass – und dies gilt auch für viele der Zwergenskulpturen in den Gärten – einige ihrer vorgestellten Objekte der Bezug zu den populären Karikaturen von Jaques Callot vereine, der im 17. Jahrhundert meist buckelige und „unproportionierte Zwerge“ zeichnete und damit zum Begründer dieses Motivs wurde. Das Spiel mit den ungewöhnlichen Proportionen und die Betonung von Kleinheit stellte für Kunstschaffende einerseits eine besondere Herausforderung dar und wies durch ihren „transgressiven Charakter“ weit über den reinen Unterhaltungswert hinaus, so Suchy. Die visuelle Kraft der Figuren begründe sich in dieser Un- oder Mehrdeutigkeit, die von heutigen Vorstellungen mitunter stark abweiche; Suchy nannte unter anderem die Funktion des Lachens über Normabweichung und Behinderung oder Funktionen des (An-)Starrens.7 Einhergegangen war dies auch mit anderen Rezeptionspraktiken (Anfassen der Objekte etc.). Suchy stellte abschließend in den Raum, dass heutige und zukünftige Ausstellungen sich auch mit der Frage geeigneter Präsentationsformen auseinandersetzen sollten.

SILKE HERZ (Dresden) brachte eine geschlechtergeschichtliche Komponente in die Diskussion ein. Auf der Basis umfangreicher Archivstudien berichtete sie über „Zwerginnen“ und „Zwerge“ in sächsischen Frauenhofstaaten um 1700. Sie zeigte, dass der Status von männlichen wie auch weiblichen „Hofzwergen“ sehr heterogen war. Vor allem die Lebenswege männlicher „Hofzwerge“ sind überliefert. Freilich lag deren Chance auf einen sozialen Aufstieg am Hof zugleich viel höher, wie Herz am Lebensweg des besonders geschätzten „Hofzwergs“ Johann Tramm eindrücklich aufzeigte. Tramm galt als schön und begabt, wurde am Hof umfassend ausgebildet und durch eine aufwendige Beerdigung geehrt.8

Auch kleinwüchsige Menschen als Künstler wurden thematisiert. LISA HECHT (Marburg) stellte in ihrem Vortrag zum kleinwüchsigen Maler Richard Gibson die Frage, ob dieser aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit zum Miniaturmaler wurde. Gibson war anfangs als Page tätig und wurde dann über Umwege zum Maler. Ähnlich wie Herz konnte Hecht anhand des Ausbildungsweges aufzeigen, wie sich kleinwüchsige Menschen durch eine Anstellung am Hof in elitäre Kreise hocharbeiten konnten. Zugleich sei Gibsons Tätigkeit und das damit zusammenhängende Verhältnis zu seiner Körperlichkeit eng mit der Arbeitspraxis als Miniaturmaler verbunden gewesen. Denn für die mehrzähligen und langwierigen Sitzungen hätten die Auftraggeber die Ansicht eines „kleinen Mannes“ – Gibson war noch dazu „proportioniert“ kleinwüchsig – gern in Kauf genommen. Die Person Gibson sei demnach in ihren Interferenzen zu fassen: als herausragender Miniaturmaler seiner Zeit, als Edelmann und als „Zwerg“. Die Rolle des „Hofzwergs“ konnte Gibson nie ganz ablegen; zugleich nutzte er sie gekonnt zur Selbstvermarktung.

TICO SEIFERT (Edinburgh) stellte am Beispiel Matthias Buchingers eine weitere Möglichkeit der Selbstvermarktung kleinwüchsiger Künstler vor. Buchinger war kein Hofmaler, sondern lebte als Trick- und Kalligraphiekünstler unter anderem von Souvenirdruckgrafiken und Auftragsarbeiten, die er mit seinen „Händen“ erstellte. Anders als Gibson hatte Buchinger neben seiner Kleinwüchsigkeit starke körperliche Fehlbildungen. Seine Kunst, so Seifert, erforderte schon ohne Handicap ein hohes Maß an manueller Kontrolle und sei außergewöhnlich hochwertig gewesen.

MARCUS PILZ (Coburg) präsentierte einen Harnisch (um 1600) aus der Kunstsammlung Coburg. Das Objekt gehört zu den Hauptattraktionen in der Rüstkammer, und dennoch war bisher wenig darüber bekannt. Im Zuge einer Restaurierung des Objektes wurden auch umfangreiche Recherchen in Coburger Archiven durchgeführt, deren Ergebnisse Pilz als eine Art Objektbiografie vorstellte. Er konnte anhand einer Neuausrichtung der Rüstung belegen, dass der Harnisch für einen „disproportioniert“ gewachsenen Kleinwüchsigen angefertigt wurde. Zudem gibt die Art der Beschädigungen am Harnisch Auskunft zu möglichen Aufgabenbereichen der am Hof von Johann Casimir von Sachsen-Coburg lebenden „Hofzwerge“: Diese nahmen vermutlich an Fußturnieren mit Schwert und nicht an kriegerischen Auseinandersetzungen teil.

Insgesamt versammelte die Tagung vielfältig anregende Forschungsbeiträge, die allesamt auf große Desiderate hinwiesen. In ihrer Mehrzahl warfen die Vorträge vor allem weitere Forschungsfragen und -perspektiven auf, anstatt konkrete Antworten und Thesen zu präsentieren. Alle Beiträge verdeutlichten, wie fluide und ambig der Status kleinwüchsiger Menschen in der Frühen Neuzeit war.

Die interdisziplinäre Ausrichtung war eine der großen Stärken der Tagung, und in den Diskussionsrunden wurde die Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung immer wieder betont. Neben der Kunst-, Kultur- und Medizingeschichte könnte perspektivisch beispielsweise auch die Musikwissenschaft (komponierende/musizierende Kleinwüchsige) einen Beitrag zum Forschungsfeld leisten.

Für weitere Forschungen wäre es unter anderem spannend, die christlich-theologischen Deutungsmuster von Kleinwuchs stärker zu analysieren, die Seemann vorgestellt hatte. Auch der Vergleich zwischen der zeitgenössischen Wahrnehmung von Kleinwuchs und Großwuchs, den Kuster angeschnitten hatte, stellt eine vielversprechende neue Perspektive dar.

Zukünftig wäre es darüber hinaus wünschenswert, deutschsprachige, italienische und spanische Höfe vergleichend zu untersuchen, um parallele und abweichende Wahrnehmungsweisen im Umgang mit „Hofzwergen“ zu ergründen.

Konferenzübersicht:

Leitung/Moderation: Andreas Tacke (Trier) / Markwart Herzog (Irsee) / Sylvia Heudecker (Irsee) / Eva Seemann (Zürich)

Andreas Tacke (Trier): Begrüßung

Eva Seemann (Zürich): Körperwunder Kleinwuchs. Die Faszination des Kleinen und das Phänomen der „Hofzwerge“ in der Frühen Neuzeit

Christoph Schweiger (Klagenfurt): Literarische und chronikalische Berichte über Zwerge aus Kärnten als Abbild des gesellschaftlichen Bildes von Kleinwüchsigen um 1500

Catherine Ingersoll (Lexington, VA): „Wär ich ein Wicht …“. Hans Wertinger's Ritter Christoph (1515), a „Speaking” Portrait from the Court of Philipp von der Pfalz, Prince-Bishop of Freising

Justus Lange (Kassel): Infant, fürstlicher Knabe oder doch „Hofzwerg“? Zur Deutungsgeschichte eines Gemäldes von Anthonis Mor in Kassel

Marcus Pilz (Coburg): „1 Klein Blank Harnisch Uff den Zwerg Ruppert geschlagen“. Ein „Zwergenharnisch“ in den Kunstsammlungen der Veste Coburg

Iris Lauterbach (München): Groß und klein im Garten: Überlegungen zu den Verhältnissen im Raum

Susan Tipton (München): Kleine Menschen auf großen Treppen und Porträts „in Lebensgröße“ – Überlegungen zur Wahrnehmung und Darstellung von Kleinwüchsigen und „Hofzwergen“ im langen 18. Jahrhundert

Lisa Hecht (Marburg): The Miniaturist. Richard Gibson als Maler, Edelmann und „Zwerg“

Tico Seifert (Edinburgh): Matthias Buchinger. Magician (Trickkünstler) and Calligrapher „born without hands and feet”

Thomas Kuster (Ambras) / Gerd Aumüller (Münchhausen): Hofzwerge oder Leibtrabant. Medizinhistorische Überlegungen zu den Konsequenzen skelettaler Abweichungen in frühneuzeitlichen Gemälden

Silke Herz (Dresden): Kleinwüchsige Menschen in den sächsischen Frauenhofstaaten und ihre Darstellung um 1700

Verena Suchy (Nürnberg): Den Blick gefangen nehmen. „Groteske“ Körper in der barocken Schatzkammer

Peter Husty (Salzburg): „Zwergen“-Forschung in Salzburg. Die Sammlung Günther G. Bauer im Salzburg Museum

Anmerkungen:
1 Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Philipp Hainhofer, URL: https://hainhofer.hab.de (letzter Zugriff 15.05.2023).
2 Vgl. das Abstract auf dem Tagungsflyer.
3 Eva Seemann, Hofzwerge. Kleinwüchsige Menschen an deutschsprachigen Fürstenhöfen der Frühen Neuzeit, Göttingen 2023.
4 Vgl. ebd., S. 94.
5 Vgl. z. B. Günther G. Bauer, Salzburger Barockzwerge. Das barocke Zwergentheater des Fischer von Erlach im Mirabellgarten zu Salzburg, Salzburg 1989.
6 Michail M. Bachtin, Rabelais und seine Zeit. Volkskultur als Gegenkultur (aus dem Russischen von Gabriele Leupold), hrsg. v. Renate Lachmann, Frankfurt am Main 1995.
7 Suchy verwies vor allem auf Rosemarie Garland-Thomson, Staring. How we Look, Oxford 2009.
8 Einen anderen Fall einer aufwendigen Beerdigung für einen „Hofzwerg“ beschreiben: Marna Schneider / Diana Stört, Die Holzstatuen Justus Bertrams und seiner Schwester – zwischen Ehrbezeugung und Objektifizierung, in: Marcus Becker u.a. (Hrsg.): Die Berliner Kunstkammer. Sammlungsgeschichte vom 16. bis 21. Jahrhundert, Petersberg 2023, S. 30-41, bes. S. 31, S. 34.

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